18 Menschen, eine Idee: Sie wollen zusammen ein Haus kaufen und auf Dauer bezahlbar wohnen. Doch wie macht man das? Man braucht Gönner:innen, Gemeinsinn – und viel Geduld.
Es ist ein großes Haus im bürgerlichen Stadtteil Pfersee in Augsburg, erbaut 1900. Die Fliesen im Treppenhaus bröckeln von der Wand, die Blumentapeten in den Zimmern erinnern an eine andere Zeit. Eine in die Jahre gekommene Bruchbude, könnte man sagen. Oder? Sieben Wohnungen hat das Haus und insgesamt 27 Zimmer. Mit zehn anderen Mitstreiter:innen hat die 28-jährige Franziska Falterer das Gebäude gekauft, um abseits des überlasteten Wohnungsmarktes etwas Neues zu schaffen, etwas Bezahlbares, etwas Gemeinschaftliches. „Pa*radieschen“ nennen sie es.
Was klingt wie eine Utopie, ist ein Projekt, das schon vielfach umgesetzt wurde. Über 190 autonome Hausprojekte gibt es deutschlandweit in dem Verbund des Mietshäuser Syndikats, einer 1992 in Freiburg gegründeten Organisation, die den gemeinschaftlichen Kauf von Häusern ermöglicht und unterstützt. Doch der Weg zu jedem einzelnen davon ist gepflastert mit finanziellen, bürokratischen und zwischenmenschlichen Hürden: Ein Haus kaufen ohne Eigenkapital? Auflagen erfüllen, um ein ökologisches Effizienzhaus zu werden? Und wie gestaltet man einen jahrelangen Aushandlungsprozess unter Gleichgesinnten, der wohl eines der persönlichsten aller Themen – das Wohnen – betrifft? Nicht alle Projekte können am Ende umgesetzt werden, sie scheitern unterwegs, hinterlassen enttäuschte Visionär:innen und weiter unbewohnte Immobilien.
Das Pa*radieschen aber ist auf einem guten Weg, dass der Traum Wirklichkeit wird. Schon 2017 hatten sich in einem Verein einige Augsburger:innen zusammengefunden, die an einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt interessiert waren. 2022 wurde von einem Teil der Gruppe der Verein in seiner heutigen Form gegründet, das „Pa*radieschen“. Auch die alleinerziehende Mutter Alexandra Zagler und ihr 9-jähriger Sohn werden künftig hier wohnen. „Ich wollte nicht mehr alleine wohnen und habe mich über Mehrgenerationenhäuser informiert. Dann bin ich bei einer Infoveranstaltung von Pa*radieschen gelandet“, erzählt sie. Ihr gehe es darum, dass ihr Sohn andere erwachsene Bezugspersonen bekommt: „Zusammen spielen, zusammen kochen – und das nicht nur immer mit der langweiligen Mama.“ Hilfe beim Einkaufen, ein offenes Ohr in Krankheitsphasen oder endlich abends mal wieder ausgehen, wenn das Kind in guter Gesellschaft zu Hause bleiben kann: Es sind die einfachen Dinge, die Zagler vermisst. „Und ich denke auch an die Zukunft“, sagt die 36-Jährige, „im Pa*radieschen kann ich alt werden.“
Alle verbindet ein Ziel: bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Der Gegner: der Augsburger Immobilienmarkt. Ein Teil der Pa*radieschen-Gruppe wurde vor einigen Jahren entmietet. 30 junge Menschen mussten aus ihren Wohnungen raus; an der Stelle ihres Mietshauses soll ein Luxusbau entstehen. Es war also Zeit, aktiv zu werden – gegen die hohen Mietpreise der Stadt, gegen die Angst vor willkürlich agierenden Vermieter:innen. „Sollte Wohnen nicht ein Grundrecht sein?“, fragt Falterer. Sie stoßen auf das Mietshäuser Syndikat. Wie aber kann man den Bestand sichern und einen Verkauf auf lange Zeit verhindern, fragten sich die damaligen Pioniere. Ihre Lösung: Man brauche eine Art Wächter, einen übergeordneten Verbund für Hausprojekte, der den Verlockungen des Immobilienmarkts widersteht. Dies ist die Funktion des Mietshäuser Syndikats. Beim Augsburger Wohnprojekt ist die neue Hauseigentümerin die eigens geschaffene Pa*radieschen Haus GmbH, die aus zwei Gesellschaftern besteht: dem Pa*radieschen Hausverein und eben dem Mietshäuser Syndikat, der übergeordneten Organisation dieser Rechtsform. Der Clou an der Sache: Die Immobilie kann nicht verkauft werden und auch die Kaltmieten bleiben konstant. Wenn also Bewohner:innen eines Wohnprojekts das Haus verkaufen wollen, verhindert das Syndikat mit seiner Vetostimme als gleichberechtigter Gesellschafter an dem Haus den Verkauf.







In der renovierungsbedürftigen dreigeschoßigen alten Villa wohnte zuletzt nur eine ältere Dame. Unter den zukünftigen Bewohnern soll der Pa*radieschen-Stil bunt, offen, einladend sein. Über 260 Menschen haben Pa*radieschen bereits mit Direktkrediten unterstützt, eine Summe von fast 1,4 Millionen Euro ist so zusammengekommen. Die Mindesteinlage liegt bei 1.000.- Euro, der Zinssatz ist frei wählbar zwischen 0 und 1 Prozent. Die Stiftung Warentest schreibt zum Anlagemodell in Projekte des Mietshäuser Syndikats: „Mehr gute Tat als Geldanlage.“ Der niedrige Zinssatz ist der große Hebel, nur so kann das Projekt finanzierbar bleiben – auch auf lange Sicht. Es geht allen Unterstützer:innen um das Projekt, die Idee. Das Pa*radieschen hat auch die Stadtverwaltung und Lokalpolitiker:innen um Unterstützung gebeten. Parteiübergreifend gebe es Zuspruch für das Projekt, aber über ein „Macht weiter so, Geld haben wir aber keins“ gehe es nicht hinaus, resümiert Falterer. Nach der Sanierung soll das Haus ein sogenanntes Effizienzhaus 55 sein. Dazu braucht es die Unterstützung von Fachleuten. Im Herbst 2025 soll es so weit sein. 14 Erwachsene, vier Kinder und ein Hund wollen dann ihr kleines Paradies beziehen.